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3 0 469/96         verkündet am 15.05.1997
Schmid
Justizangestellte
als Urkundsbeamter der
Geschäftsstelle

Landeswappen NRW

LANDGERICHT KREFELD
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL

In dem Rechtsstreit

der Frau Renate H a r t w i g,
[Adresse gelöscht]

- Klägerin -

- Prozeßbevollmächtigte: [gelöscht]

g e g e n

Herrn Norbert P o t t h o f f,
[Adresse gelöscht]

- Beklagten -

- Prozeßbevollmächtigte: [gelöscht]

w e g e n   Unterlassung von ehrverletzenden Bemerkungen

hat die 3. Zivilkammer des Landgerichts Krefeld auf die mündliche Verhandlung vom 24.04.1997 durch den Vorsitzenden Richter am Landgericht Franke, den Richter am Landgericht Schwan und die Richterin Stoepel

für   R e c h t   erkannt:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 2.250,00 DM vorläufig vollstreckbar.

Die Sicherheit kann auch durch Bürgschaft einer Bank oder öffentlichen Sparkasse erbracht werden.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt vom Beklagten das Unterlassen von Äußerungen, die sie für ehrverletzend hält.

Beide Parteien setzen sich mit der Scientology-Organisation auseinander. Sie sind in der Sache einig, in der Methode aber unterschiedlicher Ansicht.

Der Beklagte gehörte einmal dieser Organisation an.

Beide Parteien halten Vorträge und verfassen Schriften über dieses Thema und warnen vor dem Einstieg in diese Organisation. Anläßlich einer Veranstaltung der Jungen Union Duisburg-Rheinhausen am 27.09.1996 waren beide Parteien zu diesem Thema gefragt:

Die Klägerin trägt vor: Der Beklagte habe dort vor Vertretern der Schülerunion unter anderem geäußert:

"Frau Hartwig hat mich bezichtigt, für Scientology zu arbeiten" und
"Frau Hartwig ist eine Faschistin".

Außerdem habe der Beklagte der Zeugin Winter mitgeteilt,

"wenn sie mich oder Jeanette Schweitzer als Scheinaussteiger bezeichnet bzw. bezeichnet hat, ist das fast schon zweitrangig".

Diese ihr in den Mund gelegten Äußerungen seien nie von ihr gemacht. Dadurch werde sie in ihrer Glaubwürdigkeit diskreditiert. Ihre Bezeichnung als Faschistin sei beleidigend.

Die Klägerin beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, es zu unterlassen, wörtlich oder sinngemäß die folgenden Behauptungen aufzustellen und/oder zu verbreiten:

a) sie habe den Beklagten bezichtigt, für Scientology zu arbeiten;
b) sie habe den Beklagten oder Frau Jeanette Schweitzer als Scheinaussteiger bezeichnet;
c) sie sei eine Faschistin.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er trägt vor, es mag zutreffen, daß er die Äußerungen zu a) und b) so gesagt habe. Dies sei auch wahrheitsgemäß und werde von der Meinungsfreiheit gedeckt. Allerdings habe er nie geäußert, die Klägerin sei eine Faschistin.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist nicht begründet.

Die Klägerin hat schon nach ihrem eigenen Vorbringen keinen Unterlassungsanspruch gegen den Beklagten (§§ 823, 1004 BGB). Es kann dahinstehen, ob dadurch, daß der Beklagte die von der Klägerin verlangten Unterlassungserklärungen vorprozessual nicht abgegeben hat, die Wiederholungsgefahr im Sinne § 1004 I 2 BGB gegeben ist. Denn die streitgegenständlichen Äußerungen sind teils nicht tatbestandsmäßig im Sinne einer Ehrverletzung, teils sind sie nicht rechtswidrig, weil das Recht der freien Meinungsäußerung im Zweifel Vorrang hat.

Die Klageanträge zu a) und b) bilden gewissermaßen eine gedanklich sachliche Einheit. Wer Scheinaussteiger ist, von dem darf vermutet werden, daß er für die Organisation weiter arbeitet; wer für diese Organisation weiter arbeitet, den kann man für einen Scheinaussteiger halten. Indessen ist diese Frage letztlich nicht Kern der Klageanträge. Hier kommt es allein darauf an, ob eine solche Äußerung von der Klägerin getan wurde.

Das Persönlichkeitsrecht der Klägerin, hier wohl ihre Individualsphäre, wäre verletzt, wenn der Beklagte eine Tatsache behauptet hätte, die als falsch, ehrverletzend und rechtswidrig eingestuft werden müßte (vgl. BVG NJW 89, 1789; 92, 1439). Tatsache wäre hier die Behauptung, die Klägerin habe die ihr in den Mund gelegten Äußerungen getan.

Der Klageantrag zu b) beinhaltet indessen schon keine Tatsachenbehauptung. Die Klägerin hat auf Seite 3 ihrer Klageschrift den Anspruch näher konkretisiert und vortragen lassen, der Beklagte habe mitgeteilt, "wenn sie mich ... als Scheinaussteiger bezeichnet hat, (dann) ist das ... zweitrangig".

Es liegt also ein Konditionalsatz vor. Konditionalsätze enthalten regelmäßig weder (endgültige) Tatsachen noch Meinungen. Vielmehr entwickeln sie Denkmodelle.

Die logische Entwicklung von Denkmodellen ist von sich aus nicht ehrverletzend. Denkmodelle erörtern insoweit nur hypothetische Reihen, nicht Fakten. Fehlt es aber an Fakten, unterliegen Denkmodelle tatbestandsmäßig nicht den Ehrverletzungsvorschriften. Daß das vom Beklagten entwickelte Denkmodell hier in anderer Weise, etwa in der Art seiner Entwicklung schmähend oder diffamierend war, ist weder behauptet noch sonst aus den Akten ersichtlich.

Der hierzu in sachlichem Zusammenhang stehende Klageantrag zu a) würde rechtlich ebenso zu behandeln sein, wenn er ebenfalls in einen Konditionalsatz gefaßt worden wäre. Selbst wenn aber diese Äußerung nicht in einem Konditionalsatz gefallen wäre, wäre sie dem Beklagten nicht zu verbieten, weil die Rechtswidrigkeit der Äußerung nicht festzustellen ist.

Die Rechtswidrigkeit fehlt, wenn der sich Äußernde tatsächliche Verdachtsmomente haben durfte, der Gegner glaube nicht an die Ehrlichkeit seines Verhaltens (BGH NJW-RR 95, 301), und wenn der sich Äußernde dem Gegner deshalb einen objektiv falschen Ausspruch zuschreibt, weil es dem Persönlichkeitsbild des anderen durchaus entspricht (OLG Stuttgart JX 77, 684).

Der Beklagte konnte den Verdacht haben, die Klägerin glaube nicht an seine endgültige Abkehr von der Scientology-Organisation. Diesen Verdacht nährt die Klägerin noch in der Klageschrift, indem sie den Beklagten auf Seite 2 als "sogenannten Aussteiger" bezeichnet; darin kommt auch heute noch deutlich ihr Vorbehalt gegen das Verhalten des Beklagten zum Ausdruck.

Wer solche Vorbehalte macht, darf sich nicht wundern, wenn er mißverstanden wird. Insbesondere darf er sich dann bei der Teilnahme an öffentlichen Diskussionen wie am 27.09.1996 selbst nicht zimperlich verhalten, wenn der Beklagte polemisch kontert (vgl. BGH NJW-RR 95, 301; Vers R 84, 88). Bei solchen öffentlichen Diskussionsveranstaltungen ist eine solche Äußerung durch die Meinungsfreiheit gedeckt, zumal da die anwesende Klägerin sofort Klarstellung vornehmen lassen konnte.

Schließlich kann auch der Klageantrag zu c) keinen Erfolg haben. Es kann dahinstehen, ob der Begriff "Faschist" eine Tatsachenbehauptung ist oder wegen seines schillernden Inhalts eine Meinungsäußerung darstellt. Denn eine Beeinträchtigung der Persönlichkeit kann sowohl durch einen Tatsachenbehauptung wie auch durch eine Meinungsäußerung (Werturteil) geschehen (BVG NJW 92, 2013).

Hier aber ist nur ein Wortfetzen aus der Diskussion vom 27.09.1996 herausgerissen. Wortfetzen, die ein politisches Werturteil zum Inhalt haben, reichen für sich allein zur Beurteilung eines ehrverletzenden Inhalts nicht aus. Ohne Darstellung des Zusammenhanges, in dem dieses Wort bei der Diskussion eingebunden war, läßt sich nicht beurteilen, ob ihm ein ehrverletzender Kern zuzuschreiben ist (vgl. BVG NJW 92, 2014).

Die Klägerin hat weder in ihren Schriftsätzen konkret geschildert, in welchem Zusammenhang diese Äußerung gefallen ist, noch konnte sie in der mündlichen Verhandlung zu dieser Frage ergänzend beitragen. Im Zweifel hat dann die Meinungsfreiheit Vorrang vor dem Persönlichkeitsschutz (vgl. BVG a.a.O.). So hat die Rechtsprechung schon in Bezug auf den Begriff "Nazi" (BVG NJW 92, 2013) und den Begriff "Stasi-Spitzel" (KG NJW RR 94, 926) entschieden.
So ist deshalb grundsätzlich auch in Bezug auf den Begriff "Faschist" zu entscheiden. Jedenfalls ist weder etwas vorgetragen noch sonst aus den Akten ersichtlich, daß hier die Diskussion zu einer diffamierenden Schmähkritik ausgeartet wäre, in der nicht mehr die Sache, sondern in übertriebener Weise die persönliche Verunglimpfung des Gegners alleiniger Tenor gewesen wäre (vgl. BVG NJW 93, 1462).

Aus den gleichen Gründen kann die Klage auch nicht aus den Gedanken des § 1 UWG Erfolg haben. Die streitgegenständlichen Äußerungen sind ersichtlich nicht im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs gefallen. Privatleute, die unterschiedliche Meinungen über Methoden zur Bekämpfung von unerwünschten Erscheinungsformen haben, sind auch dann keine Wettbewerber im Sinne des UWG, wenn sie ihre Meinungen gegen Entgelt veröffentlichen.

Bei dieser Sachlage war die Klage mit der Kostenfolge aus § 91 I ZPO abzuweisen.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 709 ZPO.

Streitwert: Es gilt der Beschluß der Kammer vom 12.12.1996.

Franke       Schwan       Stoepel